Im Rahmen eines Bachelor-Abschlusses wurde ich als Inhaber der Praxis für mentale Gesundheit in Trier und Mitglied des Verbandes der psychologischen Berater zu einem Experteninterview zum Thema beratende Psychologie befragt.
- Wie oft, schätzen Sie, ist es dringend nötig, zu einem „gesunden“ Selbstwert zu verhelfen? (nie, selten, gelegentlich, häufig, regelmäßig und warum?)
Es ist keine allgemeingültige Antwort auf diese Frage möglich, da die Förderung eines gesunden Selbstwertgefühls von individuellen Faktoren abhängig ist. Während manche Menschen möglicherweise nie oder selten Unterstützung benötigen, da sie von Natur aus ein starkes Selbstwertgefühl besitzen, sind für andere regelmäßige oder häufige Unterstützungsmöglichkeiten notwendig. Besonders in Situationen persönlicher Herausforderungen wie Selbstzweifeln, negativen Erfahrungen oder gesellschaftlichem Druck wird Unterstützung benötigt, um die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden zu fördern. Es ist entscheidend, die individuellen Bedürfnisse zu berücksichtigen und Hilfe anzubieten, wenn sie gebraucht werden.
- Welche Interventionen und psychologischen Schulen werden zur Stärkung und Stabilisierung des Selbstwertes vorzugsweise herangezogen?
Es gibt unterschiedliche Interventionen und psychologische Schulen, die dazu dienen, den Selbstwert zu stärken und zu stabilisieren. Einige verbreitete Ansätze sind die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), bei der das Hervorheben und Verändern negativer Denkmuster und Überzeugungen im Fokus steht, um so ein gesünderes Selbstbild zu fördern.
Des Weiteren ist das Selbstmitgefühlstraining eine effektive Methode, um Mitgefühl mit sich selbst zu entwickeln und die negative Selbstkritik zu reduzieren. Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) kombiniert Achtsamkeitsübungen mit psychologischen Techniken, um Menschen zu helfen, negative Gedanken und Emotionen zu akzeptieren und sich auf ihre persönlichen Werte und Ziele zu konzentrieren.
Die positive Psychologie ist ein weiterer Ansatz, bei dem das Augenmerk auf die Stärkung von positiven Emotionen, Stärken und Ressourcen liegt, um so das Selbstwertgefühl zu steigern und das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern.
Durch die individuelle Anpassung und Kombination dieser Interventionen und Ansätze können effektive Strategien zur Unterstützung bei der Stärkung und Stabilisierung des Selbstwertes geschaffen werden.
- Welche sind die größten Herausforderungen hinsichtlich der Selbstwertberatung?
In der Selbstwertberatung können verschiedene große Herausforderungen auftreten, die es zu bewältigen gilt.
Erstens die Vielfalt der individuellen Bedürfnisse: Jeder Mensch hat unterschiedliche Erfahrungen, Persönlichkeiten und Hintergründe, was bedeutet, dass die Unterstützung beim Aufbau eines gesunden Selbstwertes sehr individuell sein muss.
Zweitens können tief verwurzelte negative Glaubenssätze ein hinderlicher Faktor sein. Oft sind negative Selbstbilder so fest verankert, dass es Zeit und Geduld erfordert, um mit diesen Überzeugungen umzugehen und positive Selbstwertgefühle zu fördern.
Drittens kann der Widerstand gegen Veränderungen eine Hürde darstellen. Einige Menschen sind gegenüber Veränderungen in ihrem Selbstwert widerstandsfähig, sei es aus Angst vor dem Unbekannten oder aufgrund von wiederholten negativen Erfahrungen.
Des Weiteren können komplexe psychische Erkrankungen, wie Depressionen oder Angststörungen, zusätzliche Herausforderungen mit sich bringen, wenn es um die Arbeit am Selbstwert geht, die eine professionelle Unterstützung erfordern.
Zudem können begrenzte Ressourcen wie finanzielle Mittel, der Zugang zu Therapeuten oder die Zeit für Selbstwert-Arbeit die Unterstützung einschränken.
Trotz dieser Herausforderungen ist es von großer Bedeutung, dass Menschen mit Selbstwertproblemen Hilfe suchen und Unterstützung erhalten, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken und ein gesünderes Selbstbild zu entwickeln.
- Wie sollte Ihrer Meinung nach primär präventiv, außerhalb der Heilkunde, zu einem gesunden Selbstwert beigetragen werden?
Eine primär präventive Herangehensweise zur Stärkung eines gesunden Selbstwertes außerhalb der Heilkunde kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen. Hier sind einige mögliche Maßnahmen:
- Förderung von positiver Selbstwahrnehmung: Durch Aufklärung und Sensibilisierung über das Thema Selbstwert sowie die Vermittlung von Selbstakzeptanz und Selbstliebe können Menschen ein positives Selbstbild entwickeln. Schulen, Universitäten, Unternehmen oder öffentliche Einrichtungen können Workshops, Kurse oder Vorträge zu diesem Thema anbieten.
- Stärkung von Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen: Die Förderung von Selbstvertrauen, Selbstsicherheit und Selbstwertgefühl kann durch Coaching, Mentoring-Programme oder Selbsthilfegruppen erfolgen. Hier können Menschen lernen, ihre Stärken zu erkennen und ihr Selbstvertrauen zu stärken.
- Aufbau von sozialen Kompetenzen: Die Förderung von sozialen Fähigkeiten wie Empathie, Kommunikation, Konfliktlösung oder Selbstreflexion kann dazu beitragen, Selbstwertgefühle zu stärken. Hier können soziale Projekte, Austauschprogramme oder Trainings angeboten werden.
- Reduktion von (Selbst-)Stigmatisierung: Durch Sensibilisierungsmaßnahmen und anti diskriminierende Maßnahmen können Vorurteile und Stigmata abgebaut werden, was zur Stärkung des Selbstwertgefühls beitragen kann. Hier sind Informationskampagnen, Aufklärungsarbeit und Diversity-Trainings wirksame Maßnahmen.
Insgesamt ist eine breit angelegte präventive Strategie erforderlich, die verschiedene Bereiche der Gesellschaft einbezieht, um ein gesundes Selbstwertgefühl zu fördern und psychisches Wohlbefinden zu stärken.
- Warum, glauben Sie, wird nicht von Psychologen, Psychotherapeuten auf den psychologischen Berater verwiesen?
Es gibt verschiedene Gründe, warum Psychologen und Psychotherapeuten möglicherweise nicht auf psychologische Berater verweisen:
- Zuständigkeitsbereich: Psychologen und Psychotherapeuten haben spezifische Ausbildungen und Qualifikationen, um Menschen mit psychischen Störungen oder komplexen psychologischen Problemen zu behandeln. Psychologische Berater haben in der Regel eine andere Ausbildung und können möglicherweise nicht die erforderliche Expertise für schwierige psychische Erkrankungen bieten.
- Therapeutische Ansätze: Psychologen und Psychotherapeuten arbeiten oft mit evidenzbasierten psychotherapeutischen Techniken und Therapiemethoden, die in der klinischen Psychologie etabliert sind. Psychologische Berater können alternative Methoden und Ansätze anbieten, die möglicherweise nicht von Psychologen oder Psychotherapeuten verwendet werden.
- Besondere Bedürfnisse der Klienten: Manche Klienten bevorzugen möglicherweise eine beratende oder coachende Unterstützung ohne den Rahmen einer formellen Psychotherapie. In solchen Fällen können psychologische Berater besser geeignet sein, da sie einen anderen Ansatz und eine weniger intensive Form der Unterstützung bieten.
- Verfügbarkeit und Zugänglichkeit: Psychologische Berater sind oft leichter zugänglich und haben möglicherweise kürzere Wartezeiten als Psychologen oder Psychotherapeuten. Dies kann für manche Menschen eine attraktive Option sein, wenn sie schnell Unterstützung suchen.
- Persönliche Präferenzen: Letztlich spielen persönliche Präferenzen und individuelle Bedürfnisse eine Rolle dabei, ob Psychologen oder Psychotherapeuten auf psychologische Berater verweisen. Manche Menschen fühlen sich möglicherweise wohler bei einem bestimmten Ansatz oder Therapeuten und ziehen deshalb psychologische Berater vor.
- Was wäre Ihrer Meinung nach nötig für eine kooperative Zusammenarbeit mit Psychologen, Psychotherapeuten etc.?
Für eine kooperative Zusammenarbeit mit Psychologen, Psychotherapeuten und anderen professionellen Fachkräften im Bereich der psychologischen Beratung sind folgende Maßnahmen und Aspekte wichtig:
- Klare Kommunikation: Ein offener und regelmäßiger Austausch zwischen den verschiedenen Fachkräften ist entscheidend für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Dies beinhaltet das Teilen relevanter Informationen über den Klienten und die abgestimmte Vorgehensweise in der Betreuung.
- Klare Definition der Zuständigkeiten und Kompetenzen: Es ist wichtig, dass alle Beteiligten ihre jeweiligen Rollen, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen verstehen, um eine effektive Zusammenarbeit zu gewährleisten.
- gegenseitiger Respekt und Anerkennung: Jeder Fachbereich hat seine eigenen Qualifikationen und Expertisen, die für eine umfassende Betreuung des Klienten wertvoll sind. Respekt und Anerkennung für die unterschiedlichen Stärken und Möglichkeiten aller Beteiligten müssen vorhanden sein.
- gemeinsame Zielsetzung: Es ist wichtig, dass alle Fachkräfte gemeinsame Ziele für die Betreuung des Klienten definieren und diese zusammen verfolgen. Eine klare Ausrichtung auf die Bedürfnisse und Ziele des Klienten ist entscheidend für den Erfolg der Zusammenarbeit.
- interdisziplinäre Weiterbildung und Austausch: Um eine effektive Zusammenarbeit zu gewährleisten, können gemeinsame Schulungen, Workshops oder regelmäßige Treffen zur Weiterbildung und zum Erfahrungsaustausch beitragen.
- kontinuierliche Evaluation und Feedback: Die regelmäßige Überprüfung und Evaluation der Zusammenarbeit sowie das Einholen von Feedback von Klienten können dazu beitragen, die Qualität der Betreuung zu verbessern und die Zusammenarbeit zu stärken.
Durch eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Psychologen, Psychotherapeuten und psychologischen Beratern kann eine umfassende und ganzheitliche Betreuung für Klienten sichergestellt werden.
- Was möchten Sie noch ergänzen?
Der Beruf des psychologischen Beraters genießt leider keinen ausreichenden gesetzlichen Schutz. Jeder kann diesen Titel tragen, ebenso wie die Bezeichnung Coach. Im deutsch- und französischsprachigen Raum gibt es anerkannte Zertifizierungen für Coaches. Aufgrund meines Abschlusses an der ALH in Köln bin ich staatlich zertifiziert und Mitglied im Verband der psychologischen Berater sowie der Association for non-medical counselors.
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